Ebersheim sorgt für Sternstunde im Kunstradfahren

Ebersheim sorgt für Sternstunde im Kunstradfahren

Joachim Friedsam berichtet über den Weltcup-Gesamt-Sieg mit Super-Weltrekord in Belgien

Das mit Spannung erwartete Finale des Kunstrad-Weltcups im belgischen Merelbeke wurde für das Vierer-Team aus Mainz-Ebersheim zu einem Triumph. Mit einer fulminanten Kür sicherten sich die vier jungen Frauen nicht nur den Weltcup-Gesamtsieg, sondern pulverisierten mit der neuen Rekordmarke von 245,97 Punkten geradezu den alten Weltrekord.

Dass die Mannschaft aus dem Mainzer Vorort in der Lage war, den bisher von der Schweiz gehaltenen Weltrekord von 234,44 Punkten zu übertreffen, hatte sie mehrfach nachgewiesen. Dreimal schon hatten sie die alte Marke übertroffen, ohne dass die offizielle Anerkennung als Weltrekord möglich war. Das verhinderte stets das strenge Reglement, das eine korrekte internationale Besetzung des Kampfgerichts vorschreibt. In Merelbeke war diese Voraussetzung nun gegeben. Aber die Ersten, die sich dort in die illustre Liste der Weltrekordler eintrugen, war nicht etwa das Quartett aus Mainz, sondern ihre schärfsten Konkurrentinnen aus der Schweiz. Mit ihrer Leistung von 236,78 Punkten setzten sie die Ebersheimerinnen zusätzlich unter Druck. Nun gibt es ja das Sprichwort „Druck macht aus Kohle Diamanten“, aber natürlich kann man unter zu hohem Druck auch zerbrechen. Die Antwort, wie das bei Annika und Stella Rosenbach, Tjjem Karatas und Milena Schwarz ist, mussten sie auf der Fahrfläche geben. Sie boten im wahrsten Sinne des Wortes eine diamantene Leistung und distanzierten alle anderen Teams. Das hätten sie auch geschafft, wenn sie ihre Kür mit einem Schwierigkeitsgrad von gut 140 Punkten einfach fehlerfrei durchgefahren wären. Doch das für Deutschland startende Quartett schaffte schier unglaubliches: Frei nach dem Motto, wonach Angriff die beste Verteidigung ist, bauten sie sogenannte taktische Erweiterungen ein und steigerten damit noch einmal den Schwierigkeitsgrad ihrer ohnehin schwierigsten Kür der gesamten Konkurrenz. So eröffnet sich die Möglichkeit, einen Punktewert auszufahren, der über dem Ausgangswert liegt. Aber so etwas gelingt im Kunstradsport vielleicht einmal unter tausend Fahrten. Das Risiko ist hoch, durch einen Sturz alles zu verlieren. Doch an diesem Tag in Merelbeke erlebten die vier Mainzerinnen eine Sternstunde, fuhren ihre Kür ohne den kleinsten Wackler zu Ende, übertrafen ihren Ausgangswert um satte fünf Punkte und setzten mit knapp 246 Punkten eine Weltrekordmarke, die derzeit vermutlich nur von ihnen selbst zu knacken ist.

Stella und Annika Rosenbach, Tijem Karatas und Milena Schwarz schafften damit einen traumhaften Abschluss der Saison, in der sie sich ständig gesteigert hatten und nur an einem einzigen Tag nicht in Topform waren. Das war ausgerechnet im Finale der Weltmeisterschaften in Glasgow, als sie durch einen Sturz die angepeilte Titelverteidigung verpassten, aber immerhin noch Silber gewannen. Möglicherweise war genau dies noch einmal der besondere Ansporn, noch härter zu trainieren und beim Weltcup zu beweisen, wer wirklich die Nummer 1 ist. Und damit sind wir wieder bei dem Druck, der aus echten Champions Diamanten macht. Das Quartett aus der Domstadt gewann fortan einen Weltcup nach dem anderen, sicherte sich schließlich den Gesamtsieg mit 500 von 500 möglichen Weltcup-Punkten und gab eine klare Antwort auf die Frage, wer der beste Kunstrad-Vierer der Welt ist.

Jetzt endlich geht es für die vier in eine wohlverdiente Pause. Die ist nicht nur zur physischen Regeneration nötig. Denn in einem reinen Amateursport wie dem Kunstradfahren bleibt bei aller Disziplin einiges im beruflichen Bereich liegen und muss nun nachgeholt werden. Erfreulicherweise aber steht schon fest, dass der Kunstrad-Vierer zusammen mit ihrem Trainer Oliver Schwarz im kommenden Jahr wieder angreifen wird. Schließlich möchten sie sich „ihren“ WM-Titel wieder zurückholen. Bei der starken Konkurrenz im eigenen Land ist dies aber selbst für die Besten des Jahre 2023 kein Selbstläufer. Auch 2024 wird also wieder ein spannendes Jahr.

Bilder: Wilfried Schwarz

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